Niedersachsen

Stadt Braunschweig

In Silber (Weiß) ein roter Löwe mit schwarzer Bewehrung.

Schon an der klassischen Einfachheit der heraldischen Beschreibung erkennt man, daß das Braunschweiger Wappen ein hohes Alter aufweist. Wie alt es wirklich ist, wissen wir nicht, mindestens jedoch üiber 600 Jahre. Wie bei den meisten älteren, "gewachsenen" Städtewappen existieren keine Nachrichten über eine Wappenstiftung nebst amtlicher Festlegung. Das Datum des ersten Nachweises solcher Wappen ist zufälliger Natur und hängt davon ab, welches Dokument oder welcher sonstige abbildliche Nachweis die wechselnden Zeitläufe überlebt hat und auf uns gekommen ist.
Im Falle Braunschweigs ist es die vom Rat bei seinem Schreiber Ossenbrughe 1366/67 in Auftrag gegebene Handschrift des Sachsenspiegels, in der das Wappen mehrmals abgebildet ist, und zwar im Prinzig genau so, wie wir es heute kennen. Wohlgemerkt – diese Buchmalereien stellen nicht etwa eine Festsetzung des Wappens dar, sondern spiegeln den damals bereits selbstverständlichen Zustand wieder. Das Braunschweiger Wappen ist also älter und könnte bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen.
Entgegen einer manchmal geäußerten Ansicht ist es nicht erst 1438 durch König Albrecht II. verliehen worden. Freilich besitzt das Stadtarchiv mit diesem prächtigen Wappenbrief, der das Wappen nicht stiftet, aber bestätigt und noch heute geltendes Recht ist, ein denkwürdiges historisches Zeugnis, um das Braunschweig von vielen anderen wappenführenden Städten beneidet wird; denn in Norddeutschland sind von einem deutschen Staatsoberhaupt ausgestellte städtische Wappenbriefe überaus selten.
Die Urkunde, ausgestellt in Prag am 15. Oktober 1438, beschreibt das Wappen als „einen wissen schilt und darinn einen erhaben roten lewen mit eynem ufgeworfen tzagel uber des lewen rucke gestrecket“ und räumt im übrigen ein, daß die Braunschweiger dieses Wappen bereits „vor langen zijten und lenger dann in menschen gedechtniß sij...zu schimphe und zu ernste gefuret und gebruchet haben“.
Wie man sieht, ist das Wappen schlicht als ein roter Löwe im weißen Feld definiert - Silber und Weiß sind in der Heraldik gleichwertig und gleichbedeutend und können wahlweise verwendet werden, ebenso wie Gelb bzw. Gold. Die Krallen des Löwen, heraldisch die „Bewehrung“, werden noch nicht gesondert erwähnt. Dies geschah erst spät, durch die städtische Hauptsatzung vom 25. Februar 1953, deren Paragraph 2 die Krallen ausdrücklich schwarz färbte.
Eigentlich war das ein Mißverständnis. In der heraldischen Frühzeit war lediglich die Farbe des eigentlichen Wappentieres von Wichtigkeit. Erst später kam die Mode auf, die Krallen oder Schnäbel von Wappentieren aus dekorativen Erwägungen in einer abweichenden Farbe zu tingieren. In der Sachsenspiegel-Handschrift von 1366/67 wie auch in der Wappenillustration der Königsurkunde von 1438 sind die Krallen noch ohne besondere Tingierung wiedergegeben, nämlich einfach in der gleichen Federzeichnung, die auch für die Umrisse des Löwen verwendet wurde, wie ja auch die Stadtfarben von Anbeginn bis heute schlicht rot-weiß waren und sind. Erst in neuerer Zeit las man aus dieser Zeichnung eine schwarze Bewehrung heraus, und so gewann sie dann amtlichen Charakter durch Festlegung in den Hauptsatzungen von 1953, 1956, 1963, 1972, 1974 und zuletzt im Paragraphen 1, Absatz 2, der Hauptsatzung vom 3. September 1981, wo überdies noch angegeben ist, was eigentlich keiner Erwähnung bedürfte, nämlich daß die Zunge des Löwen rot ist und die Zähne weiß sind (wie bei allen Wappentieren, bei denen nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt worden ist).
Aber wie ist Braunschweig überhaupt zu seinem Löwenwappen gekommen, das nicht auf einem landesherrlichen Verleihungsakt beruht, sondern von den Städtern irgendwann zwischen dem 13. Jahrhundert und 1366 in Gebrauch genommen worden ist?
Angesichts des von Heinrich dem Löwen 1166 auf dem Burgplatz errichteten, weltberühmten Löwendenkmals scheint der Beweggrund für die Wappenwahl der „Löwenstadt“ selbstverständlich und keiner weiteren Erklärung bedürftig. Aber so umweglos einfach ist der Sachverhalt mitnichten. Denn der aufrecht-wehrhafte rote Löwe ist gemäß den inneren Gesetzmäßigkeiten des Wappenwesens weder mit dem stehenden Burglöwen identisch noch von ihm abgeleitet. Zwar besteht zu dem Begriff „welfischer Löwe“ als dem Symbol der damaligen Landesherren gewiß eine innere Beziehung, aber keineswegs nur in motivlicher Nähe, sondern, wie der städtische Löwe unübersehbar kundtut, zugleich in bewußter Distanz zu ihm.
Zur mutmaßlichen Entstehungszeit des Stadtwappens führten die Welfen nämlich keine Löwen im Schilde oder im Siegel, die als direkte Vorbilder des Stadtlöwen angesprochen werden könnten. Zwar trug Herzog Heinrich auf einem Reitersiegel von 1154, dessen Schildinhalt leider nicht in zweifelsfreier Deutlichkeit zu erkennen ist, möglicherweise einen Schild mit einem aufrechten Löwen. Der Löwe war damals das häufigste dynastische Wappentier, versinnbildlichte aber darüber hinaus speziell als „redendes“ Wappenbild den Geschlechtsnamen der Welfen, der „wehrhaftes Jungtier“, insbesondere „Junglöwe“ bedeutet. Auffallenderweise ist ein Löwenwappen Heinrichs nach 1154, mithin schon lange vor der Entstehung des Stadtwappens, nicht mehr nachzuweisen. Spätere Reitersiegel enthalten einen bildlosen beziehungsweise lediglich mit Schildbeschlägen versehenen Schild. Nach seinem Sturz 1180 verwendete Heinrich entsprechend seiner reduzierten staatsrechtlichen Stellung den Typus des fürstlichen Reitersiegels mit Schild und Fahnenlanze ohnehin nicht mehr, sondern ging zu einem unheraldischen Löwenbild über, einem in waagerechter, also natürlicher, Haltung schreitenden beziehungsweise stehenden Löwen, der ohne Schildumrahmung im Siegelfeld steht und dessen plastische Verkörperung der berühmte Burglöwe vor der Burg Dankwarderode bildet.
Dieser Burglöwe ist es auch, der im ersten nachweisbaren Stadtsiegel von 1231 inmitten einer schematisch abstrahierten, den Begriff „Stadt" sinnbildlich wiedergebenden Architektur steht und der Braunschweig als „Stadt Heinrichs des Löwen" kennzeichnet, also das damals noch unbestrittene Zugehörigkeitsverhältnis zu ihren welfischen Landesherren dokumentiert.
Das Siegel darf aber nicht mit dem wie in allen Städten erst später auftauchenden Wappen verwechselt werden. Siegel sind Rechtskraft schaffende Beglaubigungsinstrumente, Wappen hingegen Symbole der eigenen Identität, in denen das Selbstverständnis des Wappenführenden öffentlichen Ausdruck findet. Das Wappen mit dem aufrechten Löwen ist von dem Denkmalslöwen des ersten Siegels deutlich unterschieden, seiner Natur und Gestaltung nach etwas anderes, neues, und zwar ohne den im Siegellöwen noch sichtbaren Bezug auf den Landesherrn.
Die Welfen nämlich, die nach der Auflösung des Stammesherzogtums Sachsen zunächst kein eigentliches Wappen führten und sich in ihren Siegeln noch längere Zeit des unheraldischen stehenden Löwen bedienten, kehrten, als sie wieder Wappen annahmen, nicht etwa zu Heinrichs mutmaßlichem Wappenlöwen zurück, sondern nahmen andere Wappenbilder an, wiederum Löwen zwar, aber ganz anderen Ursprungs. Sie benutzten einerseits seit 1199 zwei übereinander schreitende, herschauende goldene Löwen, damals auch „Leoparden" genannt, im roten Feld als erstes eigentliches Stammwappen des Braunschweiger Landes und andererseits (seit 1293) einen blauen Löwen im mit roten Herzen bestreuten, goldenen Feld (für Lüneburg). Die Doppellöwen waren aus dem englischen Königswappen abgeleitet, der dritte Löwe wanderte aus Dänemark ein, womit die Welfen, um ihre Stellung in Norddeutschland zu festigen, auf zweifache königliche Abstammung (in weiblicher Linie) verwiesen. Seit 1357 kombinierten sie diese eigentlich aus dem Ausland eingeführten Wappentiere in einem gespaltenen, später in einem mehrfeldrigen Schild.
Der rote Stadtlöwe indessen hat mit diesen damals die Landesherrschaft repräsentierenden welfischen Löwen ersichtlich nichts zu tun, hält vielmehr Abstand zu ihnen. Ob er einen Rückgriff auf den mutmaßlichen Schildlöwen Herzog Heinrichs von 1154 darstellt, wissen wir nicht, da dessen Farben nicht überliefert sind. Es ist eher zweifelhaft, weil dieser frühe Löwe, wenn er denn überhaupt existiert hat, im 13. und 14. Jahrhundert nicht mehr bekannt gewesen zu sein scheint.
Um so bemerkenswerter ist die Tingierung des Stadtlöwen: rot im weißen Feld. Rot und Weiß waren die Farben vieler Hansestädte, und auch Braunschweig suchte in der Mitgliedschaft in diesem mächtigen Städtebund seit der Mitte des 14. Jahrhunderts einen Rückhalt im Streben nach Emanzipation von den herzoglichen Landesherren. Ob die aufstrebenden Braunschweiger diese Farben bewußt wählten? Wir können es nur vermuten, weil die historischen Quellen darüber keine Aussagen machen - ebensowenig wie über vieles andere, das damals jedermann wußte und daher keiner chronistischen Erwähnung wert schien.
Auf jeden Fall beleuchtet die Tatsache, daß der Stadtlöwe sich sowohl in der Farbe als auch in der Gestaltung von den landesherrlichen braunschweigischen Wappenlöwen - aber auch von dem früher im Siegel verwendeten herzoglichen Burglöwen - deutlich abhebt, daß das Stadtwappen ein damals kühnes, auf Freiheit und Selbstbehauptung gerichtetes Selbstverständnis der Braunschweiger manifestiert. Demgemäß berief sich die Stadt in ihren Streitigkeiten mit den Herzögen 1595 in einer zu Speyer vorgebrachten Prozeßschrift ausdrücklich aulf die vom landesfürstlichen Wappen abweicheichende Färbung des Stadtlöwen „vermög der Königlichen und des H. Reichs Befreyung“.
Im 17. Jahrhundert verwendete die Stadt, so auf Münzen oder in plastischen Wappendarstellungen an Gebäuden, das Wappen auch in der Form eines sogenannten Vollwappens, d. h. mit rot-weißen Helmdecken, mit Helm undHelmzier, die aus einem runden Schirmbrett bestand, das den Schildinhalt wiederholte und von einer rot-weiß gestückten, mit Pfauenspiegeln besetzten Einfassung umgeben war. Diese barocke Ausgestaltung als „großes" Wappen ist jedoch nach dem Verlust der Selbständigkeit wieder außer Gebrauch gekommen. Wesentlich war und ist immer nur der Schild mit dem Löwen.
Hinsichtlich dessen stilistischer Gestaltung gibt es übrigens keine bindenden Vorschriften. Sie ist, wie die zahlreichen abbildlichen und plastischen Zeugnisse des Braunschweiger Wappens belegen, im Wandel der Jahrhunderte stets dem jeweiligen Zeitgegchmack anheimgestellt gewesen, was auch für Gegenwart und Zukunft gilt. Insofern ist die Formulierung in den Hauptsatzungen von 1974 und 1981, „Für die heraldische Gestaltung des Wappens ist der Wappenbrief vom 15. Oktober 1438 maßgebend" mißverständlich. Weder wollte König Albrecht II. den Löwen bis in die letzte Kräuselung der Nackenhaare für alle Zeiten festlegen, noch sind die seit dem 12. Jahrhundert unverändert geltenden heraldischen Regeln derart eng zu sehen. Entgegen einer erst im bürokratischen Zeitalter anzutreffenden Auffassung wird ein Wappen nicht durch eine bestimmte stilistische Wiedergabe festgelegt, auch nicht durch ein behördlich verwendetes Muster, sondern durch seine heraldische Definition, also durch seine Beschreibung in der heraldischen Terminologie. Mithin ist jede zeichnerische Darstellung erlaubt und „richtig", die zweifelsfrei einen aufrechten, schwarz bewehrten roten Löwen im weißen beziehungsweise silbernen Schild wiedergibt. Die Stadt selbst verwendet ihn denn auch gegenwärtig in mehreren stilistischen Darstellungen nebeneinander, darunter bevorzugt in einer sehr modernen Stilisierung durch den Graphiker Eidenbenz, wogegen nichts einzuwenden ist. Einer jedesmaligen erneuten rechtlichen Festlegung bedürfen stilistische Wandlungen des Löwen ebensowenig wie die überflüssigerweise in der Hauptsatzung mit sechs zu sieben bestimmten Proportionen des Schildes, weil sie das Wappen inhaltlich nicht berühren.
Allerdings gibt es ein stilistisches Merkmal, das, obwohl nicht amtlich vorgeschrieben, doch zu einem charakteristischen Kennzeichen des Braunschweiger Löwen geworden ist, nämlich den kraftvoll ausgestalteten Schweif, der auch in der Urkunde von 1438 als „ufgeworfen tzagel" erwähnt ist. Zwar hat jeder heraldische Löwe einen „Tzagel", aber in Braunschweig hatte sich offensichtlich schon vor 1438 eine besonders üppige, dekorativ gezottelte Form des Schweifes - vielleicht als Ausweis trotziger Wehrhaftigkeit und des Freiheitsdrangs der Städter gegenüber ihrem Territoriallierren empfunden - gewohnheitsmäßig eingebürgert, so daß dieser Umstand auch König Albrecht beziehungsweise seinen Kanzleibeamten, die das Wappen wahrscheinlich nach einem ihnen von der Stadt vorgelegten Muster bestätigten und abbildeten, bemerkens- und erwähnenswert erschien.